Autor
Hendrik Porst,
Partner und Design Director bei Henning Larsen
26.06.2025

„Design by availability“ – Verfügbarkeit als Gestaltungsstrategie

Interview mit Hendrik Porst, Partner und Design Director bei Henning Larsen.
Weniger CO₂, weniger Transport, mehr Pragmatismus: „Design by availability“ stellt nicht die Idee, sondern das Material an den Anfang. Landschaftsarchitekt Hendrik Porst spricht im Interview über Schwammstädte, Umdenken und neue Verantwortung – und erklärt, warum Landschaftsarchitektur zur Schlüsseldisziplin für die Stadt der Zukunft wird.
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Warum Stadtgrün kein „Nice-to-have“ mehr ist

Warum brauchen wir eine Freiraumwende?

Wir brauchen eine Freiraumwende, schlichtweg weil die Not so groß ist. Starkregen und Wassermangel sind keine Theorie mehr – jeder kann diese Ereignisse erleben. Das Großartige ist aber, dass sich die Probleme, die wir in den Städten mit Überhitzung, Überflutungen und Biodiversitätsverlust haben, sehr gut mit mehr Grün lösen lassen. Dadurch haben wir eine Antwort, die zugleich sozialen Mehrwert schafft. Wir können mit einer Freiraumwende eine ganz neue Qualität von Städten schaffen. Natürlich kostet das Geld. Was wir damit aber erreichen können, ist eine lebenswerte Stadt – der Zugang zu einer gesunden Umwelt. Nebenbei machen wir die Stadt auch sicherer gegenüber Überflutungen und Hitze. Der eigentliche Mehrwert aber ist die neue Lebensqualität, die dadurch entsteht.

Mehr Grün klingt einfach – wie lässt sich das konkret umsetzen?

Natürlich braucht es Vorgaben und Regularien. Der Bund Deutscher Landschaftsarchitekt*innen (BDLA) arbeitet bereits daran. Aber das reicht nicht aus. Wir brauchen vor allem gute Projekte, an denen wir zeigen können, wie eine Freiraumwende konkret aussieht. Dabei dürfen wir uns nichts vormachen: Mehr Grün bedeutet weniger von etwas anderem. Es geht um Priorisierung und Abwägung. Mehr Grün kann zum Beispiel weniger Parkplätze bedeuten. Irgendwer muss immer verzichten – das muss man gut erklären, die Vorteile aufzeigen und Lust auf Veränderung machen.

Das ist auch unser Ansatz im Büro. Wir leben von unseren realisierten Projekten. Manche davon, etwa unsere ersten Schwammstadt-Projekte, sind über 20 Jahre alt. Man kann sie heute noch besuchen und mit den Menschen sprechen, die sie pflegen. Diese Leuchtturmprojekte zeigen: Es funktioniert – und es braucht dafür keine radikalen Ideen, sondern gut durchdachte, wiederholbare Lösungen, die sich ganz konkret im Quartier umsetzen lassen. Das schafft Vertrauen und beschleunigt den Wandel.

Der Alnatura Campus wurde auf einem alten Kasernengelände gebaut – ein Gewinn für den Campus, wie sich später herausstellen sollte.
Fotos:
Henning Larsen
Der kleine See auf dem Gelände bietet einerseits einen Erholungsort und dient andererseits als Rückhaltebecken bei Starkregen.
Foto:
Henning Larsen

Projekte mit Vorbildcharakter

Haben Sie ein konkretes Beispiel für so ein Leuchtturmprojekt?

Ja, eines davon ist Ostfildern im Großraum Stuttgart. Die Siedlung entstand in den Nullerjahren auf einem Gelände, das vorher stark versiegelt war – große Betonflächen, alte Wartungshallen für militärisches Gerät. Aufgrund der Bedingungen vor Ort wurde dort eine Schwammstadt entwickelt – aus der Not heraus. Heute liegen zu dem Projekt umfangreiche Daten und Erfahrungswerte vor, auch zu den Kosten.

Es fehlt nicht an Menschen, die sich für eine Freiraumwende einsetzen – auch nicht in der Politik. Aber sie wollen wissen, wie die Maßnahmen funktionieren und was sie kosten, bevor sie etwas umsetzen. Projekte wie in Ostfildern helfen enorm, weil man sich direkt vor Ort ein Bild machen kann.

Was können wir aus internationalen Projekten lernen?

Definitiv einiges. Noch vor sieben, acht Jahren fanden rund 80 Prozent unserer Projekte im Ausland statt. Besonders prägend waren die Erfahrungen in Singapur und Taipeh. Die Frage war für uns immer: Was davon lässt sich auf Deutschland übertragen – besonders im Umgang mit Extremregen?

Etwas vereinfacht gesagt: Regenmengen, die bei uns Probleme auslösen, sind in Asien Alltag. Der Umgang damit ist erprobt und fest im Stadtbild verankert. In Singapur passiert unglaublich viel – es wird investiert, geforscht und umgesetzt. In manchen Bereichen ist man weiter, weil die Herausforderungen dort einfach akuter sind.

Dazu kommt eine andere Haltung zum Design. In vielen asiatischen Ländern ist es selbstverständlicher Teil der Freiraumplanung. Auch wenn wir diese Projekte sehr schätzen, lassen sie sich nicht eins zu eins übertragen. Die Städte liegen teilweise am Rande des Dschungels – der Zugang zur Natur ist ein ganz anderer. Dafür legen wir hier mehr Wert auf Materialherkunft und CO₂-Bilanz. Es geht also nicht um besser oder schlechter – beide Seiten können voneinander lernen.

Material statt Vision – ein neues Planungsprinzip

Sie sprechen Nachhaltigkeit an – wie verändert sich das Denken in der Freiraumplanung?

Es findet gerade ein Umdenken statt. Wir waren lange „die Guten“: Wir haben Bäume gepflanzt, Parks angelegt, Bänke aufgestellt. Aber heute müssen wir uns fragen: Wo kommen unsere Materialien her? Noch immer verbrauchen wir dabei enorme Mengen CO₂.

In Zukunft wird die Wiederverwendung eine viel größere Rolle spielen. Wir schauen schon heute, welche Bäume erhalten bleiben können – diesen Gedanken müssen wir auf alle Materialien ausweiten. Ich spreche da gerne von „Design by availability“ – also: Was ist vor Ort verfügbar? Ein gutes Beispiel dafür ist der Alnatura Campus.

Vorher war da nichts – jetzt ist es ein sozialer Ort geworden. Ein Mehrwert, der gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Hendrik Porst
Partner und Design Director bei Henning Larsen
Im Alnatura-Restaurant werden die Produkte aus dem hauseigenen Restaurant verwertet.
Foto:
Henning Larsen
Der Lageplan des Alnatura Campus zeigt, wie viel Grünfläche den Mitarbeiter*innen zur Verfügung stehen.
Foto:
Henning Larsen

Freiraumplanung mit dem, was da ist

Was macht den Alnatura Campus besonders?

Der Alnatura Campus liegt am Rand von Darmstadt und ist Teil einer ehemaligen, weitläufigen Kasernenanlage. Schon vor dem Umbau gab es dort unterschiedliche Nutzungen. Rund zwei Drittel der Fläche waren versiegelt und mit dicken Betonplatten bedeckt. Dazu kamen alte Wartungshallen – früher wurden dort militärische Fahrzeuge und Panzer instandgehalten. Das Gelände grenzt auf der einen Seite an ein kleines Wäldchen, auf der anderen an ein Wohngebiet. Ansonsten gab es keine städtische Infrastruktur, an der wir uns hätten orientieren können oder müssen. Das gab uns viele Freiheiten. Zeitgleich mussten wir den rund 500 Mitarbeiter*innen und Besuchenden direkt auf dem Campus Möglichkeiten schaffen, ihre Pausen dort zu verbringen – denn „mal eben woanders hingehen“ ist dort nicht möglich.

Bei dem Umbau des Geländes war der Umgang mit Wasser ein zentrales Thema. In Darmstadt ist Trinkwasser knapp. Deshalb haben wir überall dort, wo es möglich war, Regenwasser anstelle von Trinkwasser genutzt – etwa für die Toilettenspülung, zur Nachspeisung des Sees, zum Feuerlöschen und zum Gießen der Pflanzen. Ein weiterer wichtiger Punkt war der Artenschutz: Auf dem Gelände hatten sich Eidechsen angesiedelt, die wir noch vor Baubeginn umsiedeln mussten. Gleichzeitig galt es, ein neues Habitat für sie zu schaffen.

Dafür konnten wir unter anderem den vorhandenen Beton nutzen. Wir hatten großes Glück und konnten den Beton aufgrund der Größe des Geländes direkt vor Ort aufbereiten. Ein riesiges Gerät hat den Beton zunächst gebrochen und dann geschreddert. Der große Vorteil: Wir mussten das Material nicht aufwendig abtransportieren oder liefern lassen. Stattdessen konnten wir es vor Ort analysieren und direkt sehen, wie es sich verwenden lässt. Dadurch konnten wir vieles erst im Prozess entscheiden. Die Planung ist hierdurch nach und nach entstanden. Das war auch eine Stärke des Projekts: Wenn man durch das vorhandene Material limitiert ist, entstehen oft neue, kreative Lösungen.

Wie sahen diese kreativen Lösungen konkret aus?

Wir haben den Beton zum Beispiel für den Unterbau genutzt – also überall dort, wo wir stabilisieren mussten. Für die Eidechsen haben wir trockene Steinsituationen geschaffen, die sie bevorzugen. Der Beton war dafür bestens geeignet. Außerdem sind daraus zahlreiche kleine Mäuerchen entstanden, die den Campus strukturieren: Sie zeigen Grundstücksgrenzen an und halten vor allem Besuchende davon ab, in die naturbelassenen Bereiche zu laufen. Denn was den Alnatura Campus besonders macht: Er wird heute wie ein Park von den Anwohner*innen genutzt. Vorher war da nichts – jetzt ist es ein sozialer Ort geworden. Ein Mehrwert, der gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Für mich war der Umgang mit der Natur das Faszinierendste an diesem Projekt. Wir sind mit ihr eine Art Symbiose eingegangen.

Wie Zusammenarbeit Räume besser macht

Sie haben den Alnatura Campus gemeinsam mit dem Architekturbüro haascookzemmrich STUDIO2050 entworfen. Sie arbeiten auch ansonsten oft interdisziplinär. Was braucht es für eine gute Zusammenarbeit zwischen Freiraum, Hochbau und Stadtplanung?

Ich sage meinen Studierenden oft: Es gab noch nie einen besseren Moment, um Landschaftsarchitektur zu studieren. Unser Wissen wird dringend gebraucht – ohne Kenntnisse zu Frischluftschneisen, Hitzeminderung und grünem Stadtklima kann heute niemand mehr gute Quartiere planen.

Gleichzeitig wächst die Zahl der Hochbauarchitekt*innen, für die der Freiraum selbstverständlicher Teil des Entwurfs ist. Das war nicht immer so – aber das Verständnis hat sich verändert, auch an den Hochschulen. Und man merkt heute deutlich, wer wo studiert hat: Die Ausbildung prägt die Haltung.

Auch bei den Büros hat sich viel getan – teils freiwillig, teils, weil der Wettbewerb es fordert. Ohne Freiraumplanung geht es heute nicht mehr. Sie ist kein Beiwerk, sondern zentraler Bestandteil. Dieser Wandel ist spürbar.

Haben Sie ein Beispiel für gelungene interdisziplinäre Zusammenarbeit?

Ich möchte Ihnen dafür ein Beispiel nennen: In Lörrach haben wir einen Wettbewerb gewonnen, an dem wir gemeinsam mit Städteplaner*innen und Architekt*innen gearbeitet haben – also als multidisziplinäres Team. Da für jede Disziplin eine klimatische Untersuchung erforderlich war, hat sich jede Fachrichtung das Projekt zunächst einzeln angesehen und überlegt: Was können wir jeweils maximal aus dem Standort herausholen? Daraus entstanden Fachkonzepte mit konkreten Flächenbedarfen und Anforderungen.

Im nächsten Schritt wurden diese Visionen übereinandergelegt. Man schaut: Wie greifen die Ansätze ineinander? Was lässt sich davon wirklich umsetzen? Das ist natürlich ein mühsamer Prozess. Man gewinnt neue Erkenntnisse, muss Prioritäten neu setzen und Konzepte nachjustieren. Am Ende aber entsteht ein Mix aus allen Disziplinen – passgenau auf den Ort zugeschnitten.

Entscheidend ist dabei, dass die Ziele für diesen Ort bereits zu Beginn gemeinsam definiert, abgeglichen und gegeneinander abgewogen werden. Und letztlich kommt es immer auf die Menschen an: Wie man miteinander umgeht und wie man die Dinge gemeinsam priorisiert.

Große Teile des Alnatura Campus waren vor Baubeginn mit versiegelt. Hendrik Porst fand mit seinem Team zahlreiche neue Verwendungen für die Betonplatten.
Foto:
Henning Larsen
Der Alnatura Campus umfasst zahlreiche verschiedene Areale. Neben dem Gebäude befinden sich auf dem Campus ein Amphitheater, ein Mikroforst, sowie ein Gemüsegarten.
Foto:
Henning Larsen

Wandel braucht mehr als gute Ideen

Zum Abschluss: Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung der Freiraumwende?

 

Die größte Herausforderung ist der Umfang der Veränderung. Es reicht nicht, eine Stadt wie Berlin umzubauen. Es geht um das große Ganze. Es ist eine Mammutaufgabe. Und letztlich eine Generationenfrage: Was hinterlassen wir unseren Kindern und Enkelkindern?

Die Aufgabenmenge ist riesig – und sie nötigt mir durchaus Respekt ab. Umso wichtiger ist es, dass wir nicht zu einfachen Lösungen greifen, sondern zu den richtigen. Auch wenn das – gerade angesichts der vielen parallelen Krisen – schwierig umzusetzen ist. Genau deshalb ist die Verantwortung heute so groß.

 

BIOGRAFIE

Hendrik Porst ist Landschaftsarchitekt und Partner bei Ramboll Studio Dreiseitl, heute Teil von Henning Larsen. Er studierte Tourismuswirtschaft sowie Landschaftsarchitektur in Dresden und Wien. Nach ersten Berufserfahrungen bei Petzold Landschaftsarchitektur wechselte er 2001 zu Atelier Dreiseitl, wo er seit 2006 als Design Director und seit 2014 als Partner tätig ist.

Sein Fokus liegt auf klimaangepassten, wasserbezogenen Freiräumen im urbanen Kontext.

Seit 2016 lehrt Porst an der Hochschule Konstanz (HTWG), seit 2023 auch am Institut für Landschaft und Freiraum der OST Rapperswil.

Rubrik
Projekte
Thema
# Design # Gesellschaft
Ramboll

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