Autorin und Stadtforscherin
INKLUSIVE STÄDTISCHE RÄUME GRUNDPRINZIPIEN DER FEMINISTISCHEN STADTPLANUNG.
Die feministische Stadtplanung ist eine Sammlung von Werten, Praktiken und Prinzipien, die den langanhaltenden Ausschluss von Frauen und anderen marginalisierten Gruppen aus Planungsprozessen und der städtischen Infrastruktur beheben möchten. In den vergangenen Jahrzehnten haben viele Städte begonnen, feministische Planung formal in ihre Politik zu integrieren; zwei Beispiele dafür sind Glasgow und Nantes. Es ist jedoch noch ein langer Weg, bevor Städte wirklich umfassend gerecht werden können.
DIE GRENZEN DER MODERNEN STADT
Trotz der Versprechen von mehr Unabhängigkeit, beruflichen Möglichkeiten und Freiheit bestehen Barrieren für Frauen, um vollwertige und gleichberechtigte Teilnehmerinnen am sozialen, ökonomischen und politischen Leben in Städten zu sein. Frauen sind durch Stadtplanung und -politik nach fast jedem Maßstab systematisch benachteiligt worden, noch dazu kommen Gendernormen, die die Aktivitäten von Frauen im öffentlichen Raum umschreiben. Von der Angst vor Gewalt durch Männer bis hin zum Fehlen einer Infrastruktur, die das Aufteilen von Carearbeit ermöglicht, stehen Frauen vor Herausforderungen, die ihr tägliches Leben wie auch ihr langfristiges Wohlergehen beeinträchtigen.
EIN ERBE DES FEMINISTISCHEN WIDERSTANDS
Jedoch sind Frauen angesichts dieser Herausforderungen niemals passiv gewesen. Die Architektin und Wissenschaftlerin Dolores Hayden hat protofeministische Pläne entdeckt, die bis in das 19. Jahrhundert zurückgehen und Häuser, Nachbarschaften und Städte auf eine Art und Weise umgestalten sollten, die Frauen häusliche Belastungen abnehmen und kollektive Räume für Carearbeit schaffen würden.¹ Hayden selbst hat sich in den 1980er Jahren für die Vision einer „nichtsexistischen Stadt“ stark gemacht, ebenso wie es auch das Matrix Collective aus dem Vereinigten Königreich in seinem 1984 erschienenen Buch mit dem Titel „Making Space: Women and the Man Made Environment“ getan hat. Aus dieser Arbeit und Jahrzehnten weiterführender Forschung ist die feministische Planung als starke Kraft für gerechtere, nachhaltigere und sozialere Städte hervorgegangen.
ZEHN PRINZIPIEN DER FEMINISTISCHEN STADTPLANUNG
In meiner eigenen Arbeit als feministische Stadtgeographin und in meinem Buch „Feminist City“ habe ich zehn Prinzipien der feministischen Stadtplanung entwickelt. Sie basieren auf den feministischen Werten Teamwork, Care, Gerechtigkeit, Intersektionalität, Respekt für Unterschiede und Relation.
01 DIVERSE ANFÜHRER*INNEN MACHEN EINEN UNTERSCHIED
Frauen und andere Angehörige ausgegrenzter Gruppen müssen „mit am Tisch sitzen”, wenn Entscheidungen getroffen werden. Schließlich kann man keine Probleme lösen, von denen man nicht einmal weiß, dass sie existieren. Städte, die schon einmal Bürgermeisterinnen und weibliche gewählte Amtspersonen hatten, etwa Paris, Barcelona, Glasgow und Nantes, haben Stadtplanungsinitiativen zur Beendigung von Sexismus in der Stadt maßgeblich vorangetrieben. Die Stadträtin Holly Bruce aus Glasgow hat erfolgreich eine feministische Stadtplanungspolitik eingebracht, in Nantes führt die stellvertretende Bürgermeisterin Mahaut Behru die Bemühungen an, Frankreichs erste nichtsexistische Stadt zu werden.
02 FRAUEN SIND EXPERTINNEN FÜR IHR EIGENES LEBEN
Historisch gesehen wurden die Stimmen von Frauen und anderen mit weniger Macht in der Stadtplanung nicht gehört. Jedes Planungsprojekt muss Zeit für eine tiefgreifende Beteiligung von Mitgliedern der Gemeinschaft vorsehen. Dazu sollten kreative, feministische Methoden zählen, um Menschen zu erreichen, die in Planungsprozessen oft übersehen werden, wie Neuankömmlinge, Menschen mit Behinderung, ältere und jüngere Menschen. 2022 hat Wien 15.000 Frauen befragt und festgestellt, dass Zeit, Raum und Möglichkeiten von zentraler Wichtigkeit sind. Das Transportsystem von Los Angeles (LA Metro) hat umfangreiche Forschungsberichte beauftragt, um zu verstehen, vor welchen Herausforderungen Mädchen und Frauen in Bezug auf Mobilität stehen, was zur Entwicklung eines Gender Action Plans führte.
03 JEDER KANN PLANER*IN SEIN
Frauen und Mädchen fühlen sich in öffentlichen städtischen Räumen oft nicht willkommen, und das liegt zum Teil daran, dass sie kaum konkret am Gestaltungsprozess beteiligt wurden. Während die nötige technische Expertise bei Planer*innen und Architekt*innen liegt, können Mitglieder der Gemeinschaft wertvolle richtungweisende Beiträge von der Planung bis zum Bau geben. Die Organisation Make Space for Girls aus dem Vereinigten Königreich bindet Mädchen, die als Nutzerinnen des öffentlichen Raums oft übersehen werden, in die Gestaltung von Parks ein, um sichere und aktive Räume zu schaffen, die Spaß bringen. Zu ihren erfolgreichen Projekten gehört der Brickfields Park in Bath, England, wo Mädchen bei der Gestaltung von Räumen für soziale Aktivitäten mitbestimmen durften.
04 FEMINISTISCHE PLANUNG IST INTERSEKTIONELL
Der Feminismus erkennt an, dass Frauen divers sind und dass sich überschneidende Identitäten wie Ethnie, Klasse, Sexualität, Alter, Religion, Behinderung und mehr beeinflussen, wie Frauen in Städten leben, sich bewegen und sich fühlen. Eine feministische Stadtplanung muss daher die Stimmen von Frauen jeglicher Hintergründe berücksichtigen, bevor sie festlegen kann, dass ein Projekt den Bedürfnissen von Frauen entspricht. Schwarze Stadtforscherinnen haben beispielsweise hervorgehoben, dass eine erhöhte Polizeipräsenz und Überwachung in Städten schwarzen Frauen und ihren Gemeinschaften schadet und daher nicht als eine feministische Sicherheitsintervention beworben werden sollten.²
05 SEXISMUS LÄSST SICH NICHT DURCH DESIGN NEGIEREN
Wie und von wem ein Ort wie ein öffentlicher Platz oder Park genutzt wird, ist für seine Bedeutung und sein Erleben genauso wichtig wie seine physische Bauform. Planungsprozesse müssen daher ein Verständnis für die soziale und kulturelle Umgebung beinhalten.
Typischerweise finden Frauen öffentliche Orte nutzbarer und sicherer, wenn sich dort verschiedene Gruppen von Menschen aufhalten und der Ort für unterschiedliche Zwecke genutzt wird. Inklusive Zonen sind daher ein Werkzeug, das Städte einsetzen können, um eine problematische Trennung der Nutzung einer Fläche zu vermeiden und sicherzustellen, dass in öffentlichen Räumen in der Stadt im Laufe des Tages und des Abends verschiedene Aktivitäten stattfinden.
06 BEI SICHERHEIT GEHT ES UM MEHR ALS BELEUCHTUNG
Angst und Gefahr sind Faktoren, die Frauen bei der Nutzung öffentlicher Räume oft einschränken. Die feministische Stadtplanung fordert eine nuanciertere, intersektionale und kontextuelle Herangehensweise, als einfach nur mehr Beleuchtung oder Überwachungskameras einzurichten. Um Frauen in die Sicherheitsplanung einzubeziehen, stehen Planer*innen Methoden wie die Safety Audits zur Verfügung, die in Städten wie Toronto in den 1980er Jahren entwickelt wurden. Dabei laufen Mitglieder der Gemeinschaft in Gruppen durch Bereiche, die sich nicht sicher anfühlen und bringen eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen ein. Dazu gehören Landschaftsdesign, verschiedene Nutzungen, verkehrsberuhigende Maßnahmen und mehr. Dublin hat mit einer zentralen „sicheren Zone“ in der Umgebung des Nachtlebens der Stadt experimentiert. Zwischen 20:00 und 03:00 können Menschen in dieser Zone Unterstützung und Hilfe beim Nachhausekommen erhalten.
07 FÜR DIE MENSCHEN
Die modernistische, auf das Auto fokussierte Planung, die seit dem 20. Jahrhundert viele städtische Umgebungen dominiert, wurde nicht auf den Menschen ausgerichtet, kritisiert Jane Jacobs in ihrem Klassiker „The Death and Life of Great American Cities“ aus dem Jahr 1961. Während der Pandemie, als alle dazu aufgefordert wurden, soziale Kontakte auf draußen zu beschränken, fiel vielen Menschen auf, dass ihre Städte wenige Orte anbieten, die sich zum Sitzen oder Versammeln eignen oder Zugang zu Wasser, Schatten oder Toiletten bieten. Eine feministische Herangehensweise besteht darauf, dass Städte für den Menschen gemacht sind und dass die Körper von Menschen verschiedenste Bedürfnisse haben. Wenn die Planung von unserem Körper und unseren universellen Bedürfnissen als lebende Organismen ausgeht, können wir einladendere, lebendigere, sicherere und inklusivere Räume schaffen.
08 DIE RÄNDER ZUR MITTE BEWEGEN
Die feministische Stadtplanung hebt hervor, dass die Bedürfnisse von Frauen nichts Außergewöhnliches darstellen. Genau genommen stellen wir als Frauen mitsamt weiteren oft ausgegrenzten Gruppen die Mehrheit der Gesellschaft dar. Übliche Planungsverfahren, die Frauen und andere als „Gruppen mit speziellen Interessen“ betrachten, deren Bedürfnisse der Mehrheit „etwas wegnehmen“, sind fehlgeleitet und falsch. Wenn wir aus der Perspektive derer planen, die bisher am meisten ausgeschlossen wurden, ist es außerdem wahrscheinlicher, dass wir Orte schaffen, die für alle zugänglich und inklusiv sind. In ihrem Buch „Design Justice: Community-Led Practices to Build the Worlds We Need“ argumentiert Sasha Costanza-Chock, dass marginalisierte Gemeinschaften Gestaltungen anführen und strukturelle Ungleichheiten explizit herausfordern können, anstatt sie zu reproduzieren.
09 CAREARBEIT IN DEN MITTELPUNKT STELLEN
Das Alltagsleben von Frauen in der Stadt wird zum Großteil von Lohnarbeit, unbezahlter Carearbeit und -verantwortung geprägt. Frauen übernehmen noch immer einen ungleich hohen Anteil der Carearbeit. Unsere Städte erschweren diese Arbeit oft, indem sie in Zonen mit einer einzigen Nutzung aufgeteilt sind. Das heißt, dass ein ohnehin schon komplizierter normaler Tag einer Frau durch große zeitliche und räumliche Hürden noch zusätzlich belastet wird. Das Stadtteil-Sozialsystem in Bogotá ist eine neuere Intervention, die Orte, an denen Carearbeit verrichtet wird – also alles von der Kinderbetreuung bis zur Gesundheitspflege, zu kommunalen Küchen und Waschräumen bis hin zu Erwachsenenbildungsprogrammen – in einem zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbaren Block. Diese Form der Planung soll die Carearbeit aus dem häuslichen Bereich herausnehmen und so Frauen mehr Zeit zurückgeben, die sie für Bildung, Weiterbildung, Arbeit und Freizeit nutzen können.
10 NACHHALTIGKEIT UND GLEICHSTELLUNG STEHEN NICHT IM WETTBEWERB
Städte, die ein umweltfreundlicheres Design schaffen möchten, wie eine aktive Transportinfrastruktur, müssen Gleichstellungsziele mit Nachhaltigkeitszielen vereinen. Fahrradwege zum Beispiel fühlen sich möglicherweise nicht für alle sicher oder zugänglich an, je nachdem, wie sie gestaltet sind. Menschen mit Care-Verantwortung haben möglicherweise Schwierigkeiten, mit Babys oder Kindern per Fahrrad oder Roller unterwegs zu sein. In Amsterdam, einer Stadt, die für ihre Fahrradfreundlichkeit bekannt ist, nimmt das städtische Fahrradinstitut Barrieren wie Kosten, die physische Erreichbarkeit und die mangelnde Beteiligung marginalisierter Gruppen an Entscheidungen über die Fahrradinfrastruktur in Angriff, um mehr Gleichbehandlung in die Bemühungen der Stadt zur Nachhaltigkeit einzubringen.
Zusammengefasst orientiert sich die feministische Stadtplanung daran, Planer*innen und politischen Verantwortungsträger*innen dabei zu helfen, mehr Menschen besser zu dienen. Sie erkennt vergangene Benachteiligungen an und arbeitet daran, Diskriminierung rückgängig zu machen. Feministisches Design möchte Frauen und anderen marginalisierten Gruppen mehr Möglichkeiten eröffnen, um Unabhängigkeit, Sicherheit, wirtschaftlichen Erfolg, Freude und Gerechtigkeit in der Stadt zu erleben.
BIOGRAFIE
Dr. Leslie Kern ist Stadtgeographin und Autorin von drei Büchern über Städte, darunter „Gentrification Is Inevitable and Other Lies“ sowie „Feminist City: Claiming Space in a Man Made World“. Bis 2024 war sie außerordentliche Professorin für Geographie und Umwelt sowie Frauen- und Genderwissenschaften an der Mount Allison University in Sackville, Kanada. Ihre Forschung und ihre Schriften befassen sich mit der feministischen Stadttheorie, Wohngerechtigkeit und gerechter Stadtgestaltung.
¹Hayden, Dolores: The Grand Domestic Revolution: A History of Feminist Designs for American Homes, Neighborhoods, and Cities, Cambridge: The MIT Press, 1982.
²Richie, Beth E., Arrested Justice: Black Women, Violence, and America’s Prison Nation, New York: New York University Press, 2012.