Autorin
Andrea Gebhard
02.09.2024

Keine Bauwende ohne Freiraumwende

Warum Gebäudeplanung und Freiraumplanung zwei Seiten einer Medaille sind
Fangen wir mit den schlechten Nachrichten an, die wir zwar alle kennen, aber uns immer wieder neu vergegenwärtigen sollten: Die Treibhausgas-Emissionen, die in Deutschland auf Errichtung, Erhalt und Betrieb von Gebäuden entfallen, sind viel zu hoch. Auch der Ressourcenverbrauch – unter anderem von Boden und Fläche, Rohstoffen und Wasser – ist enorm. Die Hälfte der gesamten Rohstoffgewinnung in Deutschland benötigen wir für Baumaterialien. Bauprodukte sind nach Verpackungen der zweitgrößte Anwendungsbereich für Kunststoffe. Gleichzeitig entfallen in Deutschland rund 55 Prozent des gesamten Abfallaufkommens auf Bau- und Abbruchabfälle. Diese Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, die Bauwende anzugehen.
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Andrea Gebhard Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer
Foto:
Laurence Chaperon

Klare Vorgaben dafür sind vorhanden. So gibt das Bundes-Klimaschutzgesetz vor, dass die direkten Treibhausgas-Emissionen des Gebäudebestandes von 2020 bis 2030 um 43 Prozent sinken müssen, damit Deutschland im Jahr 2045 die Klimaneutralität erreicht. Die Europäische Kommission wiederum hat mit dem European Green Deal ein ambitioniertes Programm für umfassende Transformation vorgelegt. Ziel ist es, die europäische Wirtschaft so umzubauen, dass im Jahr 2050 netto keine Treibhausgase mehr freigesetzt werden.

Großräumig betrachtet müssen wir eine nachhaltige Verflechtung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Mobilität anstreben. Denn jeder Weg, der verkürzt wird – und dadurch etwa mit dem Fahrrad oder zu Fuß statt dem Auto zurückgelegt werden kann, bringt uns dem Ziel der Klimaneutralität ein Stück näher.
Andrea Gebhard
Präsidentin der Bundesarchitektenkammer

Der Mensch zwischen Haus und Umwelt

Nicht bloß mit Blick auf solche Vorgaben sind sich Bauende wie Planende den Herausforderungen bewusst. So war man sich auf dem Deutschen Architekt*innentag 2023 weitgehend darüber einig, wohin es künftig gehen soll und welche Instrumente dafür in welcher Weise genutzt werden können. Die Roadmap lautet: Nachhaltige Planung nutzt künftig nachwachsende Baustoffe und orientiert sich an den Prinzipien Kreislaufwirtschaft, Urban Mining sowie Cradle to Cradle. Doch auf dem Weg zum klimaneutralen und nachhaltigen Bauen sollte unser Horizont über die Gebäude hinausgehen und den Kontext miteinbeziehen. Keine Bauwende ohne Freiraumwende!

Gebäudeplanung und Freiraumplanung sind zwei Seiten einer Medaille. So wie auch menschliches Tun – vor allem im Zuge der Industrialisierung – und die Entwicklung unserer Biosphäre wirken sie gegenseitig aufeinander ein. Die Gesundheit von uns Menschen steht und fällt mit der Luft, die wir atmen, mit dem Wasser, das wir trinken, und mit erträglichen Temperaturen. Unsere Gesundheit spiegelt die Umwelt, in der wir leben. Und dies ist größtenteils die vom Menschen gebaute Umwelt. Aus unserem ureigenen Interesse müssen wir, neben vermeintlich unberührten Biotopen jenseits unserer unmittelbaren Lebensräume, auch die von uns gestalteten Naturräume – von Landwirtschaftsflächen bis hin zu Parks in Städten – im ökologischen Gleichgewicht halten. Das gilt ebenso für unsere Häuser, in denen wir wohnen und arbeiten, in denen wir also einen Großteil unseres Lebens verbringen und die ebenfalls beträchtlich auf unser Wohlbefinden einwirken.

„Veränderung ist möglich“: Andrea Gebhard diskutiert mit Margit Sichrovsky (LXSY Architekten), Luke Knese von Architects for Future und Werner Sobek.
Foto:
Jens Ahner
Gerade in unseren dicht bebauten Stadträumen ist jede Grünfläche als Puffer bei zu viel Regen und als thermischer Ausgleich bei Hitze von großer Bedeutung.
Foto:
BEGA

Ein Gesamtkonzept fürs Mikroklima

Ein Haus wirkt auch auf seine Umgebung – und umgekehrt. Gebäude und Quartier stehen in einer mikroklimatischen Wechselwirkung. So beeinflusst die materielle Beschaffenheit der Gebäudehülle, einschließlich der Fassadenfarbe, maßgeblich die Umgebungstemperatur. Wie Sonnenstrahlen hier in den heißen Sommermonaten abstrahlen, wie die Fassade im Winter Wärme speichert, wirkt sich unmittelbar aufs Mikroklima aus. Gleiches gilt für Dach- und Fassadenbegrünungen – im Grunde Landschaftsarchitektur direkt am Haus – sowie für Grünflächen und Bäume im Quartier oder, im negativen Sinne, einen hohen Versiegelungsgrad. Im Idealfall gehen Architektur und Landschaftsarchitektur Hand in Hand – am Gebäude und im Quartier.

Hierbei gilt es, rechtlich einiges zu harmonisieren: die Planungsinstrumente und die Regulatorik zwischen einerseits Gebäude (meist privat) und andererseits Umgebung (in der Regel öffentlich). Viele der Instrumente und rechtlichen Anforderungen reichen exakt bis an die Liegenschaftsgrenze bzw. bis an die Gebäudehülle, von innen wie von außen. Insofern ist es umso wichtiger, die gegenseitige Wechselwirkung stärker in den Blick zu nehmen und im Sinne der Klimaanpassung positiv zu beeinflussen. Ein qualifizierter Freiflächengestaltungsplan kann als Brücke zwischen Gebäude/Liegenschaft und Umgebung dienen. Es gilt dabei, nicht nur die Anforderungen an Umwelt- und Naturschutzrecht, Brandschutz, Barrierefreiheit, Niederschlagswassermanagement, Spielplatzversorgung und weiteres zu erfüllen. Solch qualifizierte Freiflächengestaltungspläne sollten Bauvorhaben vor allem in schlüssige Gesamtkonzepte integrieren.

Auf in die Schwammstadt

Die Klimakrise macht sich schon heute in unseren Städten deutlich bemerkbar. Enorme Hitze und Trockenheit wechseln sich ab mit zunehmenden Starkregenereignissen. Deshalb brauchen wir Schwammstädte: Wird Regenwasser auf nicht versiegelten Flächen und begrünten Dächern aufgefangen und vor Ort gespeichert, entlastet das nicht nur die Kanalisation und beugt Überschwemmungen vor. Das Wasser kann im Fall einer Dürre auch genutzt werden, um die Grünanlagen in der Stadt zu bewässern. Gerade in unseren dicht bebauten Stadträumen ist jede Grünfläche als Puffer bei zu viel Regen und als thermischer Ausgleich bei Hitze von großer Bedeutung.

Die Möglichkeiten, eine Schwammstadt zu schaffen, werden von zwei Faktoren geprägt: Erstens spielen die Beschaffenheit des Bodens und die Bepflanzung der Freiflächen eine wichtige Rolle. Zweitens kommt es auf die Architektur und Konzeption einzelner Gebäude sowie die Struktur der Bebauung auf einem Areal oder in einem ganzen Quartier an. Auch hier gehen also die Bau- und die Freiraumwende Hand in Hand. Jede Neu- und vor allem Umbauaktivität muss künftig den Ressourcenbedarf und Treibhausgas-Emissionen minimieren. Eine klimaangepasste Bauweise und Quartiersentwicklung ist per se naturbasiert: ohne Stadtgrün keine natürliche Kühlung, keine Wasserversickerung und kein Wasserrückhalt. Großräumig betrachtet müssen wir eine nachhaltige Verflechtung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Mobilität anstreben. Denn jeder Weg, der verkürzt wird – und dadurch etwa mit dem Fahrrad oder zu Fuß statt dem Auto zurückgelegt werden kann, bringt uns dem Ziel der Klimaneutralität ein Stück näher.

Foto:
BEGA
Unsere Gesundheit spiegelt die Umwelt, in der wir leben. Und dies ist größtenteils die vom Menschen gebaute Umwelt. Aus unserem ureigenen Interesse müssen wir, neben vermeintlich unberührten Biotopen jenseits unserer unmittelbaren Lebensräume, auch die von uns gestalteten Naturräume – von Landwirtschaftsflächen bis hin zu Parks in Städten – im ökologischen Gleichgewicht halten.
Andrea Gebhard
Präsidentin der Bundesarchitektenkammer

Pflegen und weiterentwickeln

Wichtig ist, dass Freianlagen nach der Fertigstellung auch sachgemäß und dauerhaft gepflegt werden. Nur so können sie ihre wichtige ökologische Funktion erfüllen. Es braucht eine gewisse Intendanz, es braucht die Überlegung: Was kann auf diesen Flächen eigentlich langfristig passieren? Das ist bereits in der Planung enthalten, aber es ist wichtig, dies auch mit einer weiter gesteckten Perspektive festzuhalten und zu beschreiben. Deshalb sollte in jeder Kommune ein Freiflächengestaltungsplan festlegen, dass der Freiraum so zu erhalten ist, wie er geplant wurde. Solch ein Gestaltungsplan gehört ins Baugesetzbuch. Denn unsere Umwelt ist immer mehr darauf angewiesen, dass wir uns kümmern. Das wird in Zukunft ein viel größeres Maß annehmen, als wir uns jetzt vorstellen können.

Dies führt zur Umbaukultur – für Häuser wie für Freiräume: Das Vorhandene zu pflegen und weiterzuentwickeln, wird immer wichtiger. Bereits bestehende natürliche Strukturen wie Bäume und Gehölze sollten integriert werden. Während sie meist schon unmittelbar als Klimasenke wirken, brauchen Neupflanzungen ihre Zeit, bis sie eine gewisse Raumwirkung und auch spürbare ökologische Effekte haben, sprich: CO2 aus der Atmosphäre speichern und Hitzestress reduzieren. Die Arbeit der Landschaftsarchitektinnen und -architekten im Freiraum wie am Gebäude wird immer wichtiger, je drängender diese Klima- und Umweltfragen werden.

Die guten Nachrichten lauten: Wir wissen, was zu tun ist, wir haben sowohl das Know-how als auch die Kapazitäten dafür. Also los: Lasst uns in der Bau- und Freiraumwende weiter vorangehen!

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BIOGRAFIE

Andrea Gebhard wurde am 28.5.2021 zur Präsidentin der Bundesarchitektenkammer gewählt. Die Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin ist unter anderem Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL) und stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsrats der Bundesstiftung Baukultur. Das von ihr als Mitinhaberin geführte Büro mitmahl·gebhard·konzepte in München beschäftigt 40 Mitarbeiter*innen aus den Disziplinen der Landschaftsarchitektur, Landschaftsplanung, Umweltökologie, Stadtplanung, Architektur und Urban Design.

Rubrik
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Thema
# Gesellschaft # Klima # Verkehr

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