Autorin
Katharina Auffarth
06.09.2024

Spielräume und neue Ansätze

Herausforderungen, Stellschrauben & Potenziale der Entsiegelung
Die Integration des in Berlin zur Anwendung kommenden Maßnahmenportfolios begegnet in der aktuellen Praxis an vielen Stellen besonderen Herausforderungen. Diese Herausforderungen sehen wir als Stellschrauben, um den Prozess weiter voranzubringen. Dabei geht es meist um Anpassungsbedarfe der Standards sowie der daraus resultierenden Entwicklung neuer Lösungen, die oft aufgrund von unterschiedlichen Wissensständen und teils fehlender oder zu geringer Sensibilisierung dazu führen, dass keine einheitlichen Leitplanken formuliert werden können. An dieser Stelle setzen wir u.a. mit verschiedenen Angeboten wie z.B. dem Fachaustausch Reden über Regen sowie dem berlinspezifischen Weiterbildungsangebot Berliner Regenreihe an.
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Die Regenagent*innen der Berliner Regenwasseragentur, v.l.n.r.: Paul Kober, Grit Diesing, Hanna Meyer, Darla Nickel, Wolfram Schroff, Katharina Auffarth, Louis Kott.
Foto:
Berliner Regenwasseragentur, Ahnen&Enkel/Silke Reents

Alte Bauten, moderne Methoden

Während bei Neubauvorhaben vom Einfamilienhaus bis zu neuen Stadtquartieren auf Basis der aktuellen Regelungen wie bspw. der Einleitbegrenzung geplant werden soll, ist die Abkopplung von Bestandsbauten eine große Herausforderung und stellt gleichzeitig auch ein großes Potenzial dar. Im Bestand dominieren meist eine dichte Bebauung, ein hoher Versiegelungsgrad und hohe Nutzungskonkurrenz, nicht selten auch der Denkmalschutz. Zur Identifizierung von Abkopplungspotenzialen hat die Berliner Regenwasseragentur gemeinsam mit „gruppe F – Freiraum für alle“ eine GIS-basierte Methodik entwickelt, um Potenzialräume zu ermitteln. Dabei wird einerseits untersucht, wo die hydrogeologischen Bedingungen für Versickerungsmaßnahmen günstig sind, und andererseits, wo geeignete unversiegelte Flächen vorhanden sind. Zur Ermittlung dienen die ersten zwei Testgebiete Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow. Die Methodik wird derzeit auf die gesamtstädtische Ebene übertragen und kann als Grundlage zur strategischen Planung genutzt werden.

Allerdings fehlt es gerade an der Schnittstelle zur Planung an vertraglichen und honorarspezifischen Standards. In Anlehnung an die HOAI sind Leistungen für den Bereich der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung bisher nicht vollumfänglich unter den Grundleistungen abgebildet, sondern müssen oft als besondere Leistung beauftragt, erbracht und vergütet werden. Dies führt in vielen Fällen zu Unstimmigkeiten, auch unter den verschiedenen projektbeteiligten Planer*innen, da Schnittstellen neu definiert werden müssen.

Leider haben kostengünstige Lösungen oft Priorität, sodass in der Entscheidungsfindung z.B. das neue mit Dachpappe gedeckte Dach einem Gründach vorgezogen wird. Den Mehrwert zu erkennen und in den Vordergrund zu stellen, der sich schwer monetarisieren lässt, ist eine weitere Herausforderung auf
dem Weg zur entsiegelten Stadt.
Katharina Auffarth,
Berliner Regenwasseragentur

Diese Schnittstellen sind auch noch unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Das (Fach-)Wissen zu dezentralen Maßnahmen wird bei technischen Details eher durch Ingenieurbüros als durch Hochbau- oder Landschaftsarchitekturbüros abgedeckt. Die technische Umsetzbarkeit ist aufgrund der vielen Rahmenbedingungen aus unserer Sicht jedoch möglichst frühzeitig in den Planungsphasen mit Gestaltungsschwerpunkt zu prüfen und zu berücksichtigen. Die frühe Zusammenarbeit zwischen Stadtplaner*innen, Landschafts- und Hochbauarchitekt*innen und Ingenieur*innen sowie weiteren an der Planung Beteiligten hat sich in vielen Projekten als zielführend herausgestellt, um bei möglichen Klimaanpassungsmaßnahmen das Thema Regenwasserbewirtschaftung gewinnbringend kombinieren zu können.

Mit der Brille der kommunalen Sicht gibt es ergänzende Herausforderungen, die uns im Austausch immer wieder begegnen und von denen wir hier nur einige nennen können. Neben den teils fehlenden Leitprozessen sind fehlende Standards zu z.B. technischen Lösungen der dezentralen Maßnahmen eine Stellschraube mit Potenzial.

Die Festlegung der Standards bedarf zu Beginn eines gewissen Mehraufwandes, lässt Folgeprozesse jedoch davon profitieren. Viele Verwaltungen können diese „Grundlagen“ aktuell aufgrund fehlender (Personal-)Ressourcen nicht entwickeln. Neues auszuprobieren, mutige Entscheidungen zu treffen und von den geltenden Standards abzuweichen fällt dadurch oft schwer.

Grundstücksübergreifende Lösung:
Regenwassernutzung auf dem Friedhof Georgen-Parochial II.
Foto: Berliner Regenwasseragentur, Ahnen&Enkel/Silke Reents
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Auf dem Weg zur Schwammhauptstadt – typische Berliner Gebäude, Straßen und Plätze mit Maßnahmen der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung.
Grafik:
Berliner Regenwasseragentur

Spielräume & neue Ansätze

Umso wichtiger ist die Vermittlung von (Grund-)Wissen durch Kommunikation und Information. Fachübergreifender Erfahrungsaustausch eröffnet neue Blickwinkel und stärkt das ressortübergreifende Zusammenarbeiten. Über unser Weiterbildungsangebot bringen Expert*innen interessante Inputs ein, die das Bewusstwerden zum Einschlagen neuer Wege fördern. In Formaten wie der „Fachgruppe Regen“ werden an einem runden Tisch am konkreten Projekt (z.B. einer Quartiersentwicklung) Schnittstellen diskutiert, die z.B. auch grundstücksübergreifende Lösungen möglich machen. Mit dem Blick über den Grundstücksrand lassen sich neue Möglichkeiten schaffen, Regenwasser z.B. von benachbarten Dachflächen zur Bewässerung von öffentlichen Grünflächen zu nutzen. Bei dem Berliner Beispiel zur Regenwassernutzung auf dem Friedhof Georgen-Parochial II wurde eine grundstücksübergreifende Lösung umgesetzt. Nach einem Neubau eines Bürokomplexes wird der Abfluss von verschiedenen Flächen (Büroneubau, Parkplatz, Betriebshof, Gebäude Friedhof) in eine Zisterne geleitet und steht der Bewässerung der Friedhofsflächen zur Verfügung.

Mit der kürzlich veröffentlichten Studie „Grundstücksübergreifende Lösungen zur Regenwasserbewirtschaftung“ im Auftrag der Senatsumweltverwaltung wurde aufgezeigt, dass die technische Machbarkeit in vielen Konstellationen möglich ist. Zudem wurden Produkte wie ein Prozessablaufschema, ein FAQ-Katalog, technische Lösungsmöglichkeiten sowie übergeordnete Empfehlungen wie u.a. ein Mustervertrag ergänzt.

Die Begleitung von Pilotprojekten wie z.B. im Rahmen der grundstücksübergreifenden Lösungen (GüL) ist für uns ein wichtiger Input zur Identifizierung von neuen Themen im Rahmen unserer Mission. Der Spielraum an Möglichkeiten ist noch längst nicht ausgeschöpft.

Und selbst, wenn Potenziale im Raum aufgrund von starken Nutzungsintensitäten sehr gering sind, können niedrigschwellige Lösungen zum Tragen kommen. Dazu zählen Maßnahmen wie die Vergrößerung und Verbindung von Baumscheiben, die auch trotz ihrer Kleinmaßstäblichkeit in der Masse einen wertvollen Beitrag auf dem Weg zur Schwammstadt leisten.

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Foto: BEGA
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Die Regenagent*innen der Berliner Regenwasseragentur, v.l.n.r.: Paul Kober, Grit Diesing, Hanna Meyer, Darla Nickel, Wolfram Schroff, Katharina Auffarth, Louis Kott.
Foto: Berliner Regenwasseragentur, Ahnen&Enkel/Silke Reents

BIOGRAFIE

Zur Unterstützung der verwaltungsübergreifenden Umsetzung der Landesziele im Umgang mit Regenwasser wurde die Berliner Regenwasseragentur Anfang Mai 2018 gegründet. Die Agentur unter der Leitung von Dr. Darla Nickel ist eine Initiative des Landes Berlin und der Berliner Wasserbetriebe und wird durch die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt finanziert. Mit Blick auf Maßnahmen gegen Hitze, Trockenheit und Starkregen haben wir auf unserer Website ein umfangreiches Maßnahmenhandbuch veröffentlicht. Das Zusammenwirken von Stadtgrün und Wasser ist dabei besonders im Fokus. Die vielfältigen Möglichkeiten geben Antworten auf die Frage: „Wie bewirtschafte ich Regenwasser auf meinem Grundstück und was bringt das?“

Weitere Informationen unter: www.regenwasseragentur.berlin

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# Klima # Stadtgrün

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