Autorin
Prof. Dr. Antje Backhaus
07.09.2024

Wild, grün und chaotisch

Für eine neue Ästhetik der Stadtplanung.
Die urbane Klimaanpassung wurde lange Zeit vernachlässigt. Angesichts zunehmend heißer Sommer und zuvor undenkbarer Ereignisse wie der Flutkatastrophen im Ahrtal und in Bayern rückt nun auch in Deutschland die Verwundbarkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels in den Fokus. Klimaforscher*innen und Meteorolog*innen prognostizieren in unseren Breiten Rekorde bei Hitze und Trockenheit¹. Wissenschaftler*innen der University of Maine verzeichneten Anfang Juli 2023 global die vier heißesten jemals gemessenen maximalen Tagestemperaturen. Diese Tatsachen erfordern eine klar definierte Aufgabe: die schnelle und radikale Transformation unserer Städte.
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Im dänischen Aarhus entwickelte gruppe F eine biodiverse Straßenraumgestaltung zur lokalen Regenwasserbewirtschaftung und die Starkregen- vorsorge im Stadtquartier „Klimavangen“.
Foto:
Thorbjørn Hansen

Branding: Cool und Lebenswert

Landschaftsarchitekt*innen und -planer*innen entwickeln seit Jahren effektive Lösungen für die notwendige Transformation unserer Städte. Dazu gehören grüne Technologien wie Gründächer sowie Verdunstungs- und Versickerungsmulden. Eingebettet in ein umfassenderes Netz aus blau-grüner Infrastruktur tragen sie zur Kühlung der Städte bei und mildern die Auswirkungen veränderter Niederschlagsmuster. Obwohl es gute Ideen und bewährte Lösungsansätze gibt, scheint die Transformation anderswo erfolgreicher zu verlaufen, etwa in Städten wie Paris, Barcelona oder Kopenhagen.

Ruft große Ziele aus!

Klar formulierte politische Ziele wie die 15-Minuten-Stadt in Paris² oder die Starkregenvorsorge in Kopenhagen³, gepaart mit entsprechenden Ressourcen für die Umsetzung und der klaren Benennung von Zuständigkeiten, hat diese Städte in der grünen Transformation schnell und weit nach vorne gebracht.

Auf nationaler wie kommunaler Ebene fehlen uns dagegen klar formulierte Ziele für die Klimaanpassung. Ambitionierten Zielen, etwa dem 2017 formulierten Berliner Ziel zur jährlichen Abkopplung⁴ von 1 % der an die Mischwasserkanalisation angeschlossenen Flächen, mangelt es an der Benennung von Zuständigkeiten und personellen Ressourcen in der kommunalen Verwaltung. So ist nicht nur dieses Ziel inzwischen wieder ein ganzes Stück zurückgenommen worden.

Normen überdenken und Experimentierräume schaffen

Ein stark ausgeprägtes System von Normen und fachlichen Richtlinien hat in Deutschland jahrzehntelang die Qualität der Ausführung gesichert, stellt jedoch in der aktuellen Situation ein Hindernis für mutige und innovative Lösungen dar. Eng abgesteckte Zuständigkeiten und langsame, kleinteilige Veränderungsprozesse verhindern den schnellen Wandel. Zudem erschwert eine Kultur des Absicherungsbedürfnisses durch diese Regelwerke individuelle Lösungen.

Es besteht ein dringender Bedarf an städtischen Experimentierräumen, in denen neue Lösungen mutig erprobt und gegebenenfalls angepasst werden können. Darüber hinaus ist ein Dialog notwendig, um zu erörtern, inwieweit Regelungen und Normen erleichtert oder zurückgenommen werden können. Ein konkretes Beispiel hierfür sind grundstücksübergreifende Lösungen zur lokalen Bewirtschaftung von Regenwasser. Derzeit scheitern wir schon deshalb daran, ganzheitliche und ästhetisch ansprechende Lösungen für das pflanzenverfügbare Regenwasser in der Stadtlandschaft zu entwickeln, weil privates Niederschlagswasser nicht auf öffentlichem Grund und öffentliches nicht auf privatem bewirtschaftet werden kann.

Zu diesem konkreten Problem wurden im Auftrag der Berliner Wasserbehörde und der Regenwasseragentur Lösungsansätze herausgearbeitet⁵. Viele ähnlich gelagerte Probleme müssen wir zügig und pragmatisch in interdisziplinären Allianzen lösen.

Positiver Dialog

Manchmal bedeutet das sogar, die Planungsaufgabe zu verändern. Solche Prozesse führen nur dann zum Erfolg, wenn jede*r Einzelne im Team aus Planer*innen, Flächeneigentümer*innen und kommunalen Entscheidungsträger*innen offen und positiv zum Erreichen des besten Ergebnisses beiträgt. Nicht die Frage: „Wo sehe ich Schwierigkeiten bei der Realisierung?“, sondern eher die Frage: „Wie kann ich beitragen, das Projekt zum Erfolg zu führen?“ muss dabei unser Credo sein.

In Budapest verschwimmen die Grenzen zwischen Stadt und Park auf dem des Museums für Ethnografie in Budapest.
Foto:
BEGA
Große Stadt, kleine Wildnis:
Die gleichnamige Parkanlage in Hamburg-Osdorf wurde von gruppe F minimalinvasiv mit einem Fokus auf die Naturschutzfunktion und die Bedürfnisse der Bewohner*innen aufgewertet.
Foto:
Walter Schießwohl
Ob in Kopenhagen oder wie hier in Brøndby: Nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung setzt eine entsprechende Landschaftsplanung voraus.
Foto:
Thorbjørn Hansen

Kommunen in den Fokus

Insbesondere auf kommunaler Ebene ist eine positive Haltung von zentraler Bedeutung. Als große Flächeneigentümer*innen und Inhaber*innen zentraler Steuerungsinstrumente sind die Kommunen die Hauptakteure der Klimaanpassung. In den kommunalen Planungsabteilungen muss dafür viel Neues erarbeitet werden. Die mit dem neuen Gesetz zur Anpassung hoffentlich bald obligatorischen Klimaanpassungskonzepte können dabei eine wichtige Rolle spielen.

Eine drängende Aufgabe ist die Sicherung der urbanen Bestandsvegetation durch Standortverbesserungen und neue Bewässerungskonzepte, idealerweise unter Nutzung alternativer Wasserressourcen wie Regenwasser, Grauwasser, Drainagewasser oder gereinigtem Abwasser. Ebenso wichtig ist die Entsiegelung von Böden sowie die Planung von Notwasserwegen und Retentionsräumen in stark verdichteten innerstädtischen Quartieren.

Um diese und weitere Herausforderungen der Klimaanpassung effizient zu lösen, müssen die Planenden mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet sein und strategisch beurteilen, welche Projekte den größten Nutzen bringen. Große Flächeneigentümer wie die städtischen Wohnungsgesellschaften müssen einbezogen und Synergien genutzt werden.

Synergien und Chancen aufzeigen

Diese möglichen Synergien sind vielfältig. Sie liegen z. B. in der Kombination von Klimaanpassungsmaßnahmen mit Aspekten der Gesundheitsvorsorge. So lassen klimaangepasste Städte gesundheitliche Vorteile erwarten⁸, zum Beispiel über die Kühlungswirkung der Vegetation, die Möglichkeit zu mehr Bewegung in großzügigeren städtischen Grünflächen, bessere Luftqualität, weniger Lärm und mehr Verkehrssicherheit in Städten mit weniger Autoverkehr.

Als Planer*innen ist es unsere Rolle, die Wechselwirkungen und Chancen in der blau-grünen Transformation zu erkennen und zu vermitteln. Neben dem Beseitigen der kleinen Hürden müssen wir das große Ganze in den Blick nehmen und positive Bilder für die Stadt von morgen entwickeln.

Die Probleme der urbanen Klimaanpassung sind komplex und verzwickt („wicked problems⁶“). Um sie gut zu lösen, benötigen wir transdisziplinäre Teams, die an gemeinsamen Zielen arbeiten. Oft entwickelt sich das innovative Projekt erst, wenn wir verschiedene Gestaltungsvarianten und Lösungswege ausprobiert haben⁷.
Prof. Dr. Antje Backhaus,
gruppe F, Berlin

Macht die Städte cool

Zur positiven Transformation muss die Gesellschaft eine neue Ästhetik in der Stadtgestaltung akzeptieren und als „normal“ empfinden. Nicht die Klimaanpassungsmaßnahmen müssen zurückhaltend in bestehende ästhetische Normen gepresst werden, sondern unsere Ästhetik muss sich endlich weiterentwickeln. Wild, grün und chaotisch muss der Inbegriff von „schockierend cool“ sein!

Eines scheint klar: Die Zeit der monochromen Landschaften ist vorbei. Schluss mit uniformen Alleen, gestutzten Rasenflächen, porenlosen Stadtplätzen und in Beton gegossenen Wasserspielen. Wir müssen zu einer widerstandsfähigen, resilienten Gestaltung übergehen, die die (Bio-)Vielfalt in den Mittelpunkt stellt.

Aus der Klimaforschung ist zu erfahren, dass bis 2030 in Nordeuropa stetig zunehmende Hitzewellen und sogar einzelne heiße Tage mit bis zu 45° C zu erwarten sind⁹. Ein großer Teil unseres Stadtgrüns und nicht zuletzt viele der bestehenden Straßenbäume werden mit diesen Temperaturen erhebliche Schwierigkeiten bekommen.

Unser bisheriges Ideal einer typischen Reihe gleichartiger Straßenbäume muss durch eines der größtmöglichen Vielfalt von Baumarten mit breiter genetischer Herkunft ersetzt werden. Baumscheiben sollten von Sträuchern und Gräsern umgeben sein – als bestmögliche Lebensräume und um die besten Kühlleistungen zu erzielen¹⁰. Es wird unordentlich und standortgerecht, vielfältig und sukzessionsgesteuert. Das Stadtbild von morgen zeigt bodengebundenes Grün, das Regenwasser ableitet, Schatten wirft, verrottet und eine Vielzahl von Würmern, Käfern, Spinnen und Pilzen beherbergt. Nur eine solche städtische Begrünung ist in der Lage, schnellen klimatischen Veränderungen standzuhalten.

Wenn eine Art oder Sorte ausfällt, kann eine andere überleben, sich anpassen und reproduzieren. Vielfältiges und ungezähmtes Grün ist am besten in der Lage, Dürreperioden zu überstehen und uns vor Bodenerosion und Überschwemmungen bei extremen Regenereignissen zu schützen. Wir Landschaftsarchitekt*innen müssen diesen Transformationsprozess mit neuen Bildern und Gedanken leiten. Dafür heißt es, noch viel mehr den Prozess, die Dynamik und die langfristige Fürsorge mit in unsere gestalterischen Überlegungen zu integrieren. Wir werden zu Pat*innen der sich stetig entwickelnden Landschaften im Dienste einer lebenswerten Zukunft.

Städte brauchen Vielfalt, das gilt auch für die Stadtbegrünung. Statt monochromer Bepflanzung braucht es unterschiedliche Baumarten und Sträucher.
Foto:
BEGA
Foto:
gruppe F

BIOGRAFIE

Prof. Dr. Antje Backhaus studierte an der HNE Eberswalde und war unter anderem als Assistant Professor an der Universität Kopenhagen mit Schwerpunkt in Forschung und Lehre im Bereich Regenwasserbewirtschaftung und Klimaanpassung von Städten angestellt.
Seit Oktober 2022 ist sie Professorin für Grüne Technologien in der Landschaftsarchitektur an der Universität in Hannover. Dort lehrt und forscht sie zu verschiedenen Themen der urbanen Klimaanpassung wie z.B. aktuell zur optimalen Wasserversorgung von Stadtgrün zur Bekämpfung urbaner Hitzeinseln. Bei gruppe F ist Backhaus seit 2023 Partnerin und als Projektleiterin bzw. Beraterin tätig. 

Rubrik
Positionen
Thema
# Design # Klima # Stadtgrün

1 Vgl. Deutscher Wetterdienst, Abteilung für Klimaüberwachung, Hydrometeorologie und Agrarmeteorologie (21.09.2022): Klimatologischer Rückblick Sommer 2022. https://www.dwd.de/DE/leistungen/besondereereignisse/temperatur/20220921_ bericht_sommer2022.pdf?__blob=publicationFile&v=6,14.07.2023
2 Schauenberg, Tim (15.03.2023):Die 15-Minuten-Stadt: Mehr Lebensraum. Deutsche Welle: https://www.dw.com/de/gewinn-für-bewohner-geschäfte-und-lebensqualität- wie-15-minuten-städte-urbanes-leben-neu-denken/a-64790239, 14.07.2023
3 Københavns Kommune und COWi (Hg.):Københavns Kommunes Skybrudsplan 2012. Kopenhagen, 2012
4 Unter dem Begriff der „Abkopplung“ fasst man das Ziel zusammen, das Regenwasser nicht mehr direkt in die Kanalisation zu leiten, sondern vor Ort über Verdunstung und Versickerung dem lokalen Wasserkreislauf zuzuführen.
5 Studie „Grundstücksübergreifende Lösungen der Regenwasserbewirtschaftung“ in Bearbeitung durch die Planungsbüros gruppe F und Oikotec im Auftrag der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt – Berlin, Wasserbehörde https://www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/wasser-und-geologie/regenwasser/regen- wasserbewirtschaftung/grundstuecksuebergreifend/
6 Rittel, Horst und Webber, Melvin: “Dilemmas in a General Theory of Planning”. In: Policy Sciences. 4/1973, Amsterdam, S. 155-169
7 Vgl. Backhaus, Antje/ Dam, Torben und Bergen Jensen, Marina: “Stormwater management challenges as revealed through a design experiment with professional landscape architects”. In: Urban Water Journal. 9:1, 2011, S. 29-43 und Backhaus, Antje/ Fryd, Ole: “Analyzing the first loop design process for large-scale sustainable urban drainage system retrofits in Copenhagen, Denmark”.In: Environment and Planning B: Planning and Design. Volume 39, 2012, S. 820 – 837
8 Vgl. z.B. Bratman, Gregory et al.: “Nature and mental health: An ecosystem service perspective”. In: Science Advances. Volume 5, Issue 7, 2019 und Roscoe, Charlotte et al.: “Green Walkability and Physical Activity in UK Biobank: A Cross-Sectional Analysis of Adults in Greater London”. In: International Journal of Environmental Research and Public Health. Volume 19, 2022, 4247.
9 Vgl. z. B. Schwanke, 2022; Paton et al. 2021 

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