23.10.2025

„Im Kern geht es bei unserer Arbeit um Heilung“

Interview mit Bruno Marques zur Freiraumwende
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Guangzhou, China, wo grüne und blaue Korridore im großen Maßstab urbane Resilienz neu definiert haben. In nur einem Jahrzehnt hat die Megastadt Feuchtgebiete, Wälder und Flüsse renaturiert – und gezeigt, wie naturbasierte Lösungen den Weg zur Klimaanpassung ebnen können.
Foto:
Mathias Apitz | flickr | CC BY-ND 2.0

Warum brauchen wir einen Wandel in der Planung urbaner Freiräume?

Wir brauchen unbedingt einen Wandel, denn viel zu lange haben wir Parks und Grünflächen als dekorative Nebensache betrachtet, als etwas, das in unseren Städten zwar schön ist, aber nicht unbedingt notwendig. In Wirklichkeit sind sie jedoch unverzichtbar, sie sind eine wichtige Infrastruktur. Die Herausforderungen des Klimawandels, der öffentlichen Gesundheit und der sozialen Gerechtigkeit verlangen, dass wir sie als leistungsfähige Systeme betrachten. Sie kühlen unsere Städte, sie regulieren den Regenwasserabfluss, sie fördern die Artenvielfalt und sie sind grundlegend für unser geistiges und körperliches Wohlbefinden. Der Wandel besteht darin, sie nicht mehr als Zierde zu betrachten, sondern als lebenswichtiges Unterstützungssystem für unsere Städte anzuerkennen. Es geht darum, die Landschaft in den Vordergrund zu stellen und sie nicht als nette, dekorative Zugabe am Ende des Prozesses zu betrachten.

Was ist die International Federation of Landscapearchitects (IFLA)?

Die IFLA ist die globale Stimme der Landschaftsarchitekt*innen. Wir verbinden und vertreten über 100.000 Fachleute in 82 Ländern und Regionen. Unsere Hauptaufgabe besteht darin, den Berufsstand auf der Weltbühne zu vertreten, mit Organisationen wie den Vereinten Nationen zusammenzuarbeiten und sicherzustellen, dass die Landschaft bei der Lösung globaler Herausforderungen eine zentrale Rolle spielt. Außerdem fördern wir hohe Standards in Ausbildung und Praxis und helfen unseren Mitgliedern dabei, gesündere, widerstandsfähigere, praktikablere und schönere Orte für alle zu schaffen.

Was verbindet die Arbeiten von Landschaftsarchitekten auf der ganzen Welt?

Das ist eine großartige Frage. Ich denke, was uns alle wirklich verbindet, egal ob man in São Paulo, Seoul oder Stockholm ist, ist der tief verwurzelte Glaube an die Kraft der Natur und des Designs, das Leben der Menschen zu verbessern. Wir teilen eine gemeinsame Sprache der Ökologie und des Verantwortungsbewusstseins. Im Kern geht es bei unserer Arbeit um Heilung. Um die Heilung des Landes, die Stärkung unserer Gemeinschaften und die Heilung der Menschen. Dieses gemeinsame Ziel ist ein starkes Band, das tatsächlich Grenzen überschreitet. Landschaft kennt keine Grenzen. Deshalb stellen wir die Natur in den Mittelpunkt unseres Handelns.

Was haben Sie aus dem Wissen der indigenen Bevölkerung gelernt, das die Stadtplanung weltweit inspirieren könnte?

Aus meiner Sicht und aufgrund unserer Arbeit in Neuseeland denke ich, dass eines der wirkungsvollsten Konzepte der Maori das der Kaitiakitanga oder Vormundschaft ist. Und ich finde das sehr, sehr inspirierend. Es lehrt uns, dass wir nur vorübergehend Verwalter des Landes sind und eine große Verantwortung tragen, es für zukünftige Generationen zu bewahren. Die moderne Planung wird oft von kurzfristigen Zyklen und manchmal auch von politischen Zyklen bestimmt, aber Kaitiakitanga fordert uns auf, die Auswirkungen unserer Entscheidungen auf die nächsten sieben Generationen zu berücksichtigen. Stellen Sie sich vor, jede neue Entwicklung würde sich an diesem Prinzip orientieren. Das würde unseren Fokus grundlegend von der Ausbeutung hin zur Regeneration verlagern.

Was gibt Ihnen Hoffnung, wenn Sie an die Zukunft von Städten und Landschaften denken?

Ich denke, das ist ohne Zweifel die nächste Generation. Die Leidenschaft, Kreativität und das Engagement unserer Student*innen und der jungen Landschaftsarchitekt*innen auf der ganzen Welt inspirieren mich immer wieder. Sie entwerfen nicht nur Räume. Sie fordern durch ihre Arbeit Klima- und soziale Gerechtigkeit. Sie sehen die Herausforderungen klar und entwickeln Lösungen. Diese Generation und die wachsende weltweite Anerkennung, dass unser Beruf unverzichtbar ist, geben mir großen Optimismus für die Zukunft. Die Welt kann ohne Landschaftsarchitekt*innen nicht überleben. Es ist keine Prahlerei, wenn wir sagen, dass wir der Beruf der Zukunft sind, denn das sind wir. Wir brauchen Landschaft. Wir brauchen die Natur, um zu überleben.

An der Nordspitze von Neuseeland treffen die Tasmansee und der Pazifik in einer dramatischen Konvergenz der Strömungen aufeinander. Für die Māori ist dies der Ort, an dem die männlichen und die weiblichen Wasser sich vereinen – eine angestammte Einheit, die Balance, Regeneration und das spirituelle Tor zwischen dem Leben auf der Erde und dem Jenseits symbolisiert.
Foto:
Hannah Schmidt
Foto:
Gerry Keating

BIOGRAFIE

Dr. Bruno Marques ist Landschaftsarchitekt und Pädagoge. Nach dem Studium in Lissabon (Portugal), Berlin (Deutschland) und Otago (Neuseeland) war Dr. Marques in Deutschland, Estland, dem Vereinigten Königreich und Neuseeland mit einem großen Portfolio an Projekten tätig. Die vergangenen elf Jahre hat er an der Victoria University of Wellington in Neuseeland eine Forschungsagenda zur Landschaftsrehabilitation, dem kulturellem Erbe und dem Wohl der indigenen Völker geprägt. Er ist aktuell stellvertretender Dekan der Fakultät für Architektur und Designinnovation und Präsident der International Federation of Landscape Architects (IFLA).

 

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# Design # Gesellschaft

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