Zukunftsfähige Quartiere
Stadtquartiere beschreiben die „kleinste Einheit“ eines Wirkungsraums einer nachhaltigen Stadtplanung. Im Folgenden sollen fünf grundsätzliche Prinzipien bei der Entwicklung qualitativer und resilienter Freiraumkonzepte auf der Quartiersebene betrachtet werden.
VIELFALT
Vielfalt und Diversität zeichnen Flora und Fauna aus.
Divers sind auch die Ansprüche an Freiräume und die Aktivitäten, denen Menschen in Freiräumen nachgehen wollen. Für die Planung folgt daraus die Notwendigkeit der Multifunktionalität von Freiräumen. Wir können es uns nicht länger erlauben, die endliche Ressource Boden durch monostrukturierte Nutzungen und Funktionen zu verschwenden. Grundprinzip jeder Planung muss daher ein Sowohl-als-auch und nicht ein Entweder-oder sein.
Hierin liegt eine Herausforderung, aber gleichzeitig auch eine große Chance. Denn Vielfalt zeichnet sich eben dadurch aus, dass sie mehr ist als die „Summe aller Teile“.
KOMPLEXITÄT
Wir müssen uns ernsthaft und vor allem angstfrei dieser Komplexität stellen.
Konfliktpotenziale, aber eben auch die möglichen Synergien im Freiraum sind fundiert zu untersuchen und neue Erkenntnisse stetig zu überprüfen und zu teilen. Dies erfordert eine neue intelligente Wissensvernetzung jenseits von geübten und gelebten „Ressorts“ und damit eine neue Kommunikationskultur, die Komplexität erklärt, fundierte neue wissenschaftliche Erkenntnisse schnell und verständlich allen Akteuren zur Verfügung stellt und überholtes, aber verfestigtes „Expertenwissen“ kritisch und lösungsorientiert hinterfragt. Benötigt wird ein neues Verständnis von Planung als ergebnisoffener und dynamischer Prozess.
ANPASSUNGSFÄHIGKEIT
Es gibt keine fertigen Lösungen, nur den Prozess der Annäherung. Wir dürfen lernen, Veränderungen zu wagen, ohne bereits alle Konsequenzen im Detail zu kennen. Denn nur im Tun, stetigen Evaluieren und Anpassen können wir fundiert notwendige Erkenntnisse für die Zukunft sammeln und diese nutzen. Der Ausgang eines Experiments ist niemals falsch, sondern höchstens unerwartet. Basis aller Planung ist eine robuste und flexible Grundstruktur mit Raum für zukünftige Entwicklungen, die wir heute noch nicht kennen können. Nur wenn Kommunen selbst ausreichend Eingriffsmöglichkeiten in ihren Grund und Boden haben, werden sie in die Lage versetzt, notwendige Anpassungen in ihrer Freiraumstruktur voranzutreiben. Daher ist es wichtig, Instrumente des formellen Planungsrechtes und der Bodenpolitik stetig weiterzuentwickeln.
PRODUKTIVITÄT ALS KREISLAUF
Freiräume sind ideale Lernorte. Wir Menschen und unsere Städte stehen nicht außerhalb der Natur. Wir müssen uns und unser Tun wieder mehr als Teil kybernetischer Systeme verstehen. Freiräume sind hierfür ideale Lern- und Erlebnisorte in unseren Stadtquartieren. Biodiversität ist Ausdruck der natürlichen Produktivität des Lebens, welche im steten Wandel Ressourcen nicht nur erhält, sondern mehrt.
GERECHTIGKEIT
Ohne Gerechtigkeit gibt es kein Vertrauen für Veränderung.
Vertrauen ist Voraussetzung für nachhaltige Veränderung. Nur wenn die Belastungen des Klimawandels fair und transparent verteilt werden, ist gemeinsames Handeln möglich. Freiräume sind ideale Orte der Begegnung und Verständigung und idealerweise offen für alle. Es folgt daraus die Notwendigkeit, Freiraumgerechtigkeit als Teil der Umweltgerechtigkeit herzustellen, und zwar sowohl strukturell durch eine gut verteilte und gleichermaßen wertige Freiraumausstattung als auch durch die Vermeidung exkludierender Zeichen.
Dabei sind auch die Bedürfnisse unterschiedlicher Lebensalter und Gender zu berücksichtigen. Auch mit Blick auf gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land ist Gerechtigkeit anzustreben.
UND WAS FOLGT DARAUS?
Vor dem Hintergrund der Transformationsthemen unserer Zeit ergeben sich einige Handlungsfelder für den Freiraum auf Quartiersebene, die im Folgenden vorgestellt werden.
DER KLIMAWANDEL
mit Hitzesommern, Trockenheit und Starkregenereignissen.
DIE MOBILITÄTSWENDE
und die sich verändernde Rolle des Freiraums als gesunder, aktiver und sicherer Bewegungsraum.
DER SOZIALE WANDEL
und die Rolle des öffentlichen Freiraums als Ort der Vielfalt, Begegnung und Integration.
DIE ENERGIEWENDE
und die damit einhergehende vermehrte Zuordnung von Produktionsfunktionen an den Freiraum.
DIE BIODIVERSITÄTSKRISE
und die damit verbundene Notwendigkeit, Freiraum als Stadtnatur und Lebensraum für Tiere und Pflanzen besser zu qualifizieren.
BIOGRAFIE
Sonja Moers ist Dipl.-Ing. Architektin, Stadtplanerin und Bauassessorin. Sie hat an der TU Kaiserslautern und am University College Dublin studiert und ist seit 2000 geschäftsführende Gesellschafterin bei raumwerk Gesellschaft für Architektur und Stadtplanung mbH, Frankfurt am Main und Düsseldorf. Das Büro arbeitet an der Schnittstelle von Städtebau, Architektur und Innenarchitektur und erforscht nach eigener Aussage die Grenzbereiche von Typologien und Maßstäben.